DEULA-Expertentipp: Gefahr im Kanal

Abwasser ist das Gemenge unterschiedlichster Einleitungen in die Kanalisation. Es kommt aus Privathaushalten, Gewerbebetrieben, Fabriken, Krankenhäusern, kann abfließendes Regenwasser sein und andere Quellen haben. Es entsteht in sich ändernden Mengen, wird bei unterschiedlichen Witterungsbedingungen über viele Kilometer geleitet und gepumpt. Durch chemische Reaktionen und biologische Prozesse verändert es sich schon auf dem Weg zum Klärwerk. Die Kanäle, die es dabei durchfließt, haben zwar Schächte und andere Verbindungen zur Außenwelt, gelten aber per Definition als umschlossene Räume. Der Austausch mit der Umwelt ist gering, es bildet sich eine eigene Atmosphäre, die stark von der gewohnten Atemluft abweichen kann.
Gase und Explosionsgefahr
Vornehmlich handelt es sich bei toxischen Stoffen im Abwassersystem um die Faulgase Schwefelwasserstoff und Ammoniak. Sie entstehen bei der mikrobiellen Zersetzung organischer Anteile im Abwasser. Schwefelwasserstoff kann auch entstehen, wenn sich beispielsweise die Abwasserzusammensetzung ändert und Ablagerungen aus Eisensulfid abgebaut werden. Ein weiterer Bestandteil des Faulgases ist das leicht brennbare Methan sowie Kohlendioxid, welches sein Gefährdungspotenzial aus der Tatsache schöpft, dass es schwerer als Luft ist und dadurch die Atemluft verdrängt, also bei entsprechender Konzentration zum Erstickungstod führen kann. Bei Konzentrationen ab 2 % Vol. treten allerdings bereits Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, Ohrensausen und Herzklopfen auf.
Die DGUV berichtet aus Unfallanzeigen, dass bei Reparaturarbeiten in einem Mess- und Drosselschacht der Beschäftigte eines Bauhofs tödlich an einer Schwefelwasserstoffvergiftung verunglückte. Ohne vorher Sicherungsmaßnahmen zu treffen, stieg er allein in den Schacht ein. Durch Betätigung eines Schiebers öffnete er ein „geschlossenes System“ und die tödlichen Gase wurden freigesetzt. Ein andermal fiel einem Beschäftigten die Kanalleuchte beim Aufwickeln eines Schlauches in den Kanalschacht. Eigentlich war nicht geplant, in den Schacht einzusteigen. Der Unglückliche stieg in den sauber wirkenden Schacht und konnte schon kurze Zeit später nur noch tot geborgen werden. Derartig tragische Fälle kann man als unglückliche Verkettung unglücklicher Umstände bezeichnen, es ist aber nie eine Kettenreaktion, die nicht hätte rechtzeitig unterbrochen werden können.
Niemals Schlüsse ziehen
Die Feststellung, ob in umschlossenen Räumen abwassertechnischer Anlagen ein gefahrloses Arbeiten möglich ist, ist das sogenannte „Freimessen“. Das erfolgt üblicherweise mit kontinuierlichen Messungen mit direkt anzeigenden Gaswarngeräten. Für die Entscheidung, welches Messverfahren als geeignet anzusehen ist, muss die Kenntnis der Verhältnisse am betreffenden Ort präzise sein. In der Regel werden Gaswarngeräte eingesetzt, die die Gasgefahren Sauerstoffgehalt, Kohlendioxidgehalt, Schwefelwasserstoff sowie eine Explosionsgefahr über den Methangehalt ermitteln.
Der Sauerstoffgehalt trockener Luft beträgt ca. 20,95 Vol.-%. Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sinken ab einem Sauerstoffgehalt von weniger als 16 Vol.-%. Liegt der gemessene Wert beispielsweise bei 19 Vol.-% muss unbedingt bedacht werden, dass schon ca. 10 Vol.-% der atmosphärischen Luft durch andere Gase oder Gasgemische verdrängt wurden. Bedenkt man, dass die untere Explosionsgrenze bei einer Methankonzentration von 4,4 Vol.-% liegt und eine binnen Sekunden tödlich wirkende Schwefelwasserstoffkonzentration bei nur 0,5 Vol.-%, leuchtet ein, dass nur ein permanentes Messen aller wichtigen Gasgefahren die Sicherheit eines Arbeitsortes bescheinigen kann. Es gilt unbedingt: Niemals von einem Messwert auf einen anderen Wert schließen!
Der KT-Tipp: Erst messen – dann einsteigen!
Vor der Benutzung eines Gasmess- bzw. Gaswarngerätes zum Einstieg in Kanäle, Schächte und Behälter ist das Gerät nach Herstellervorschrift mit einem Prüfgasgemisch auf Funktion zu überprüfen. Vor dem Einstieg erfolgt eine Überprüfung mit den eigenen Sinnen! Ein fauliger Geruch und/oder Korrosion an Beton und metallischen Einbauten ist ein Hinweis auf eventuelles Vorkommen schädlicher Gase in signifikanten Konzentrationen. Der Messkopf des Gerätes ist zur Dreipunktmessung in den Schacht abzulassen. Erst wenn diese Messung ohne Warnung erfolgt ist, darf der Einstieg unter Beachtung aller Sicherheitsvorschriften geschehen. Zu beachten ist zum Beispiel, dass der Bereich der Sauerstoffkonzentration sich nur von 17 % - 21 % bewegt. Ein zu niedriger Wert bedeutet Erstickungs-, ein zu hoher Wert Entzündungsgefahr.
Henning Hoff, Laborleiter Umwelttechnik, DEULA Hildesheim
Der DEULA-Expertentipp ist eine Serie in der Fachzeitschrift KommunalTechnik.