Vergaberecht: "Zu billige" Angebote

Ist ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, stellt sich die Frage des Ausschlusses vom Vergabeverfahren.
Buch mit Paragraphen und Aufschrift Vergaberecht
Foto: Adobe Stock

Aufträge der Kommunen dürfen nur zu „auskömmlichen“, wirtschaftlich auch für die Unternehmer vertretbaren Preisen vergeben werden. Ist ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig oder hat es den Anschein, dass spekulative Preise angeboten werden, so stellt sich die Frage des Ausschlusses dieses des Angebotes.

Ungewöhnlich niedrige Angebotspreise können z. B. technisch begründet sein, aber auch auf wirtschaftlich oder rechtlich fragwürdigen Annahmen der Unternehmer oder auf fehlender oder fehlerhafter Kalkulation beruhen. Zu fehlerhafter Kalkulation tragen auch mangelhafte Leistungsbeschreibungen der Auftraggeber bei. Es kann aber auch vorkommen, dass die gewählten technischen Lösungen oder die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der Erbringung der Liefer- oder Dienstleistung verfügt, zu einem ungewöhnlich günstigen Preis führen.

Die rechtliche Seite

Angebote mit ungewöhnlich niedrigen (unauskömmlichen) Preisen sind zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen (§ 60 Vergabeverordnung – VgV, § 44 Unterschwellenvergabeordnung - UVgO)[1]. Die Problematik in der Praxis liegt in der Beurteilung des „ungewöhnlich niedrigen“ Preises.

Prüfen des Angebotspreises

Vor Zuschlagserteilung prüft der Auftraggeber, ob der angebotene Preis im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig ist. Vor allem bei umfangreichen Leistungen empfiehlt es sich, zu dieser Preisprüfung einen so genannten “Preisspiegel” (Preisübersicht) oder eine Bieterrangfolgeliste anzufertigen.

Eine allgemein verbindliche Regel, wann ein Angebot als “ungewöhnlich niedrig“ auszuscheiden ist, kann wegen der unterschiedlichen Verhältnisse nicht aufgestellt werden. Zweifel an der Angemessenheit niedriger Preise ergeben sich insbesondere, wenn die Angebotssumme eines Bieters

  • um 10 v. H. oder mehr vom Angebot des in der Reihung nächsten Bieters oder,
  • beim Fehlen weiterer Angebote erheblich von der aktuell zutreffenden Preisermittlung des Auftraggebers abweicht (s. z. B. Nr. 4.3 der Richtlinie 321 VHB Bund).[2]

Vergabegesetze bzw. sonstige Regelungen der Länder definieren das „unangemessen niedrige Angebot“ z. T. mit einer Differenz von 10 v. H. (z. B. Sachsen – Anhalt, s. § 15 Ab. 2 TVergG LSA, Nr. 8.2. der Richtlinie L 320 VHL Bayern), z. T. mit von 20 v. H. (z. B. Thüringen, § 9 Abs. 2 Satz 1 ThürVgG) zum nächsthöheren Angebot.

Unternehmer bestimmen den „Marktpreis“

In der Praxis bestimmen die Unternehmer mit ihrer Angebotsabgabe was „auskömmlich“ und was „unauskömmlich“ ist. Bieten mehrere Unternehmer zu günstig („ungewöhnlich niedrig“) an, so kann sich auch so ein „Marktpreis“ bilden. Da der Sieger einer Ausschreibung am Angebot des nächsten Bieters gemessen wird, sieht sich der öffentliche Auftraggeber dann zu keinen weiteren (Preis-) Prüfungen veranlasst, wenn der sich Angebotspreis dieser Bieter um nicht mehr als 10 v. H. bzw. 20 v. H. unterscheidet.

Pflicht zur Aufklärung – Anspruch auf rechtliches Gehör

Ist der Unterschied zwischen dem Sieger der Ausschreibung und dem nächsten Bieter bei 10 v. H. (oder mehr), so „erscheint“ sein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich (unangemessen) niedrig. Erst dann ergeben sich nach den Vorgaben des Vergaberechts Zweifel an der Angmessenheit des Preies. Soweit besondere landesrechtliche vorschriften es vorsehen, kann diese Grenze auch bei 20 v. H. angesetzzt werden.

Ein Angebot mit einem scheinbar unangemessen niedrigen Preis darf grundsätzlich nur dann ausgeschlossen werden, wenn zuvor vom Bieter schriftlich Aufklärung über die Ermittlung der Preise für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen verlangt worden ist und der Bieter nicht den Nachweis einer ordnungsgemäßen Kalkulation erbracht hat. Deshalb

  • verlangen die Auftraggeber Aufklärung vom Bieter zu seinen ungewöhnlich niedrigen Preisen (§ 60 Abs. 1 VgV, § 44 Abs. 1 UVgO),[3]
  • ist zu prüfen, ob der Bieter mit den ungewöhnlich niedrigen Preisen aus sachlich gerechtfertigen Gründen die Einheitspreise knapper als die übrigen Bieter kalkulieren konnte, z. B. weil er rationellere Arbeitsverfahren anwendet, über günstigere Materialbezugsquellen oder über Produktionsvorrichtungen verfügt, die andere Bieter nicht haben oder erst beschaffen müssen,
  • muss der Verdacht, dass ein Unterangebot vorliegt, vom Bieter ausgeräumt bzw. die Vermutung des ungwöhnlich niedrigen Preises widerlegt werden,
  • muss auf Verlangen des Auftraggebers der Bieter die zur Prüfung der Angemessnheit des Preises erforderlichen Belege vorlegen,

Das Fehlen eines Ansatzes für Wagnis und Gewinn ist unbeachtlich.

Nach Aufklärung – erneute Prüfung

Nach § 60 Abs. 2 VgV, § 44 Abs. 2 UVgO nehmen die Auftraggeber eine erneute Prüfung der Zusammensetzung des Angebots unter Berücksichtigung der im Zuge einer Aufklärung nach § 60 Abs. 1 VgV, § 44 Abs. 1 UVgO übermittelten Unterlagen vor.

Die nicht abschließende Aufzählung möglicher Prüfungsgegenstände in § 60 Abs. 2 Satz 2 VgV, § 44 Abs. 2 Satz 2 UvgO konkretisiert die Prüfungskompetenz des Auftraggebers. Danach kann diese Prüfung insbesondere die

  • Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens einer Lieferleistung oder der Erbringung der Dienstleistung,
  • die gewählten technischen Lösungen oder die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, über die das Unternehmen bei der Lieferung der Waren oder bei der Erbringung der Dienstleistung verfügt,
  • die Besonderheiten der angebotenen Leistung,
  • die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Absatz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere der für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften, oder
  • etwaige Gewährung einer staatlichen Beihilfe an das Unternehmen

umfassen.

Ablehnung des Zuschlags

§ 60 Abs. 3 VgV, § 44 Abs. 3 UVgO gibt dem Auftraggeber die Möglichkeit, den Zuschlag auf ein Angebot abzulehnen („Kann-Ausschluss“), wenn er nach der Prüfung (§ 60 Abs. 1 und 2 VgV, § 44 Abs. 1 und 2 UVgO) die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der angebotenen Kosten nicht zufriedenstellend aufklären kann.

Der Auftraggeber hat das Angebot allerdings  zwingend abzulehnen, wenn

  • er festgestellt hat, dass der Preis oder die Kosten des Angebots ungewöhnlich niedrig sind, weil Verpflichtungen nach § 128 Absatz 1 GWB , insbesondere der für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden,
  • wenn der Bieter an der Aufklärung nach § 60 Abs. 1, 2 VgV,  § 44 Abs. 1, 2 UVgO nicht mitwirkt (§ 60 Abs. 3 Satz 3 VgV, § 44 Abs. 3 Satz 3 UVgO).[4]

Im Oberschwellenbereich (§ 106 Abs. 1 GWB) sind den Regeln über ungewöhnlich niedrige Angebote bieterschützend  i. S. des § 97  Abs. 6 GWB. Unterlegene Bieter müssen im Rahmen eines Nachprüfungsantrags (§§ 160 ff GWB)  lediglich darlegen, dass der Abstand des für den Zuschlag vorgesehenen Angebots zum Nächstgünstigsten die in der Rechtsprechung anerkannten zwingenden Aufgriffsschwelle (allgemein ab etwa 20 v. H. Differenz zwischen ersten und zweiten Bieter) überschreitet.[5]  Der Antragsteller ist auch nicht verpflichtet, darzulegen, dass der Bestbieter den niedrigen Preis aus einer „Marktverdrängungsabsicht“ heraus angeboten habe oder den Auftrag infolge unauskömmlicher Preisbildung nicht ordnungsgemäß ausführen könne.

Staatliche Beihilfen

Ein Angebot, dessen ungewöhnlich niedriger Preis darauf beruht, dass das Unternehmen auf rechtmäßige Weise staatliche Beihilfen empfängt oder empfangen hat, darf nicht ausgeschlossen werden (§ 60 Abs. 4 VgV, § 44 Abs. 4 UVgO).

Die Beweislast für die Rechtmäßigkeit – also für die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt – trägt dabei das Unternehmen.

Zusammenfassung

In erster Linie liegt es beim Unternehmer auskömmliche Preise zu kalkulieren. Nur so kann sich ein auskömmlicher Marktpreis bilden, der einen Forbestand wirtschaftlich gesunder Unternehmen sichert. Dies setzt aber auch voraus, dass die öffentliche Hand ihr Handwerk versteht und den Unternehmen ordentlich kalkulierbare Leistungsbeschreibungen zur Verfügung stellt. Ist dies nicht der Fall, sollten die Bieter rechtzeitig kalkulierbare Unterlagen einfordern.

Unabhängig davon hat der öffentliche Auftraggeber die Pflicht ungewöhnlich niedrige Angebote aufzuklären und ggf. vom Verfahren auszuschließen. Für die Praxis wichtig ist in diese Zusammenhang auch die Frage, ob bei einzelnen Positionen „spekulative“ Preise angeboten werden; auch in diesem Fall sind die Angebote auszuschließen, unabhängig davon, ob die 10 v. H. (20 v. H.) – Grenze überschritten wird oder nicht,

Im oberschwelligen Bereich haben unterlegene Bieter ein subjektives Recht i. S. des § 97 GWB auf Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote und ggf. auch auf Ausschluss von Angeboten, deren niedriger Preis nicht plausibel aufgeklärt werden kann (§ 60 Abs. 3 VgV).

Hans Schaller, Dipl.-Verwaltungswirt*

 

 


[1] Die VgV gilt ab den jeweils für EU-weite Vergaben vorgesehenen Schwellenwerten (§ 106 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB). Man spricht hier vom „Oberschwellenvergaben“. Für Vergaben unterhalb dieser Schwellenwerte gilt die UVgO (Unterschwellenvergaben).

[2] Die eigene Kostenschätzung eines betriebswirtschaftlich orientierten öffentlichen Auftraggebers bringt Anhaltspunkte zu unauskömmlichen Angeboten der Unternehmer.

[3] § 60 Abs. 1 VgV und § 44 Abs. 1 UVgO tragen dem Anspruch des betroffenen Unternehmens auf rechtliches Gehör bzw. auf Anhörung Rechnung.

[4] Der Bieter ist im Rahmen des § 60 VgV/ § 44 UVgO nicht verpflichtet an einer Aufklärung mitzuwirken.

[5] BGH, Urteil vom 31.01.2017 – X ZB 10/16.

* Der Autor, langjähriger Prüfer im staatlichen und kommunalen Bereich u. a. für Vergabe- und Zuwendungsrecht,  vertritt dieses Rechtsgebiet u.a. als Lehrbeauftragter der Hochschule in Osnabrück in einem Masterstudiengang. Er ist u. a. Autor eines im Beck - Verlag erschienen Kommentars zur Unterschwellenvergabeordnung.