Vergaberecht: Höhere Gewalt wegen Corona?

Hat der Auftraggeber bei einer nicht fristgemäßen Vertragserfüllung aufgrund der Corona-Pandemie Schadensersatzanspruch?
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Der Vertragsvollzug im öffentlichen Bereich richtet sich nach den Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen (VOL, Teil B), den „AGB“ der öffentlichen Hand. Angebote von Unternehmern, die diesen Regeln nicht entsprechen, sind von einer Wertung auszuschließen.

Vertragsstörungen, sind deshalb nach den Regeln der VOL/B zu behandeln. So stellt sich bei einer nicht fristgemäßen Vertragserfüllung aufgrund der Corona-Pandemie die Frage eines eventuellen Schadensersatzanspruchs des Auftraggebers, ob diese Vertragsstörung auf höhere Gewalt im Sinne von § 5 VOL/B beruht.

Nachweis erforderlich

Die Corona-Pandemie ist grundsätzlich geeignet, den Tatbestand der höheren Gewalt im Sinne von § 5 VOL/B auszulösen. Höhere Gewalt ist danach ein unvorhersehbares, von außen einwirkendes Ereignis, das auch durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit hinzunehmen ist.

Allerdings muss das Vorliegen der höheren Gewalt auch in der jetzigen Ausnahmesituation im Einzelfall geprüft und nachgewiesen werden. Pauschale Hinweise auf „Corona“ reichen nicht. Derjenige, der sich darauf beruft, muss die höhere Gewalt begründenden Umstände darlegen und ggf. beweisen.

Auf Seiten des Auftragnehmers

Beruft sich der Auftragnehmer auf höhere Gewalt, muss er darlegen, warum er seine Leistung nicht fristgemäß erbringen kann (konnte). Das kann z.B. der Fall sein, weil:

  • ein Großteil der Beschäftigten behördenseitig unter Quarantäne gestellt ist und der Auftragnehmer auf dem Arbeitsmarkt oder durch Nachunternehmer keinen Ersatz finden kann,
  • die Beschäftigten des Auftragnehmers aufgrund von Reisebeschränkungen den Ort der Leistungserbringung nicht erreichen können und kein Ersatz möglich ist,
  • der Auftragnehmer für die Leistungserbringung notwendige Materialien nicht beschaffen kann.[1]

Das, was der Auftragnehmer als Erklärung vorbringt, muss die höhere Gewalt als „überwiegend wahrscheinlich“ erscheinen lassen, ohne dass sämtliche Zweifel ausgeräumt sein müssen. Die vom Auftragnehmer geforderten Darlegungen sollten im Einzelfall mit Augenmaß, Pragmatismus und mit Blick auf die Gesamtsituation gesehen werden.

Der bloße Hinweis auf die Corona-Pandemie und eine rein vorsorgliche Arbeitseinstellung erfüllt beispielsweise den Tatbestand der höheren Gewalt nicht. Dies gilt insbesondere, falls der Auftragnehmer schon bei der bisherigen Leistungserbringung Schwierigkeiten hatte und sich nun auf die Corona-Pandemie beruft.

Höhere Gewalt beim Auftraggeber?

Höhere Gewalt kann auch auf Seiten des Auftraggebers eintreten, beispielsweise, weil die Projektleitung unter Quarantäne gestellt wird. Dabei wäre dann – entsprechend der an die Auftragnehmer gestellten Anforderungen und nach denselben Maßstäben – z. B. zu dokumentieren, dass und warum die Projektleitung nicht beispielsweise aus dem Homeoffice erfolgen bzw. warum keine Vertretung organisiert werden kann.

Keine Ansprüche

Wird höhere Gewalt im Einzelfall als „Behinderung“ anerkannt, verlängern sich Ausführungsfristen automatisch um die Dauer der Behinderung (§ 5 Nr. 2 (1) VOL/B). Beruft sich der Auftragnehmer zurecht auf höhere Gewalt, entstehen bei deswegen verursachen Vertragsstörungen keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche.

Bei höherer Gewalt gerät auch der Auftraggeber nicht in Annahmeverzug; die Voraussetzungen des § 642 BGB liegen nicht vor. Das gilt insbesondere auch für Fallkonstellationen, in denen eine Vorleistung aufgrund höherer Gewalt nicht rechtzeitig erbracht werden kann und nun der nachfolgende Auftragnehmer deswegen Ansprüche wegen Behinderung gegen den Auftraggeber erhebt.

Dipl.-Verwaltungswirt Hans Schaller, Burglengenfeld

 


[1] Kostensteigerungen sind dabei nicht grundsätzlich unzumutbar