Kanalbeköderung 2020
Es gibt neue Vorgaben für die Verwendung von antikoagulanten Rodentiziden – tödlichen Rattenködern – in der Kanalisation. Diese könnten die Kanalbeköderung gänzlich verändern. Ein guter Anlass, die Rattenbekämpfung grundsätzlich zu überdenken.
Der wesentliche Punkt der geänderten Vorgaben besteht darin, dass bei der Verwendung von Rodentiziden mit antikoagulanten Wirkstoffen, die bereits neu- oder wiederzugelassen sind, vom Anwender sichergestellt werden muss, dass diese nicht mehr mit Wasser in Berührung kommen. Das schließt eine Kanalbeköderung, wie sie häufig bisher gehandhabt wurde, aus meiner Sicht aus, denn meist werden Köder z.B. an einer Schnur am Schmutzfang befestigt und so in die Schachtöffnung gehängt. Zwar ist so ein Einhängen weiterhin theoretisch möglich – so sagt es eine Veröffentlichung des Umweltbundesamts vom September 2018 – aller-dings muss in so einem Fall gewährleistet sein, dass bei z.B. Starkregenereignissen die Köder aus den Schächten entfernt werden. Kommt so ein Ereignis überraschend, müssten in kürzester Zeit etliche Schächte geöffnet und die Köder entnommen werden. Wer kann das schon realistisch garantieren?
Doch ich gehe erst einmal einen Schritt zurück: Was sind eigentlich Antikoagulantien und was ändert sich bis 2020? Antikoagulantien sind Blutgerinnungshemmer. Sie sorgen dafür, dass die Ratten innerlich verbluten und sterben. Durch die zeitliche Verzögerung des Todeszeitpunkts nach der Köderaufnahme schließen Artgenossen aus dem Tod eines einzelnen Tieres nicht, dass der Köder dafür verantwortlich ist. So wird Köderscheu minimiert und sichergestellt, dass die Köder auch weiterhin genutzt werden können, um eine Tilgung oder Minderung des Befalls zu erreichen, wobei das Ziel i.d.R. eine Tilgung ist. Antikoagulantien werden in der Rattenbekämpfung eingesetzt, wenn ein akuter Befall vorliegt.
Antikoagulantien sind gefährlich für Nicht-Ziel-Organismen, also alle Lebewesen, die nicht Ziel der Beköderung sind und folglich auch nicht getötet werden sollen. Dazu können Tiere zählen, die direkt vom Köder fressen oder durch den Verzehr eines kontaminierten Schadnagers (z.B. Ratte oder Maus) den Wirkstoff aufnehmen. Dieser lagert sich im Körper an und bei vermehrter Aufnahme könne auch ein Fressfeind Schaden nehmen. Aus diesem Grund werden Rattenköder nur in speziellen Köderboxen ausgebracht, der Kanal stellt hier jedoch eine Ausnahme dar, weil er selbst verschlossen ist und der Köder im Inneren somit als geschützt gilt – zumindest gegen Eingriffe von außen. Dennoch geraten Rückstände des Köders mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Abwasser und von dort in die Kläranlagen, wo sie nicht vollständig eliminiert werden können. Dadurch treten sie in Fließgewässer ein; Antikoagulanzien konnten bereits in Fischleber nachgewiesen werden. Eine Kontamination von Gewässern mit diesen Blutgerinnungshemmern ist deshalb zu vermeiden, so sagt es auch die rechtsverbindliche Anwendungsbestimmung.
Was verändert sich?
Seit der Wiederzulassung gelten neue Regeln für die Anwendung von Antikoagulantien; wann dieser Prozess komplett abgeschlossen sein wird, ist schwierig zu sagen. Allerdings finden sich die neu geltenden, verbindlichen Änderungen und Anweisungen für den Verwender auf den Verpackungen wieder. Sie sind dazu angehalten, sich stets an die Vorgaben auf der Verpackung zu halten, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Die antikoagulanten Köder in der Kanalisation müssen erstmalig nach 14 Tagen und anschließend alle zwei bis drei Wochen kontrolliert werden. Wenn bei einer Kontrolle festgestellt wird, dass keine Köderannahme mehr stattfindet, also keine Fraßspuren an den Ködern zu sehen sind, müssen sämtliche Köder aus den Schächten entfernt und als gefährlicher Abfall entsorgt werden. Eine permanente Beköderung darf nach der Wiederzulassung nicht mehr durchgeführt werden.
In der Veröffentlichung „Nagetierbekämpfung mit Antikoagulantien – Antworten auf häufig gestellte Fragen“ des Umweltbundesamts vom September 2018 heißt es auf S. 39 in Bezug auf den Kontakt der Köder mit Wasser: „Um das zu verhindern, werden entweder wasserdichte Köderschutzstationen eingesetzt oder die Köder im Kanalschacht an einem Draht oberhalb des (Ab-)Wassers befestigt. Letzteres Vorgehen bedarf einer besonderen Sorgfalt und Kontrolle, da die Wasserstände in der Kanalisation zum Beispiel bei Starkregenereignissen oder einem Rückstau schnell ansteigen und die eingehängten Köder umspült oder weggeschwemmt werden können. In solchen Fällen ist es erforderlich, die Köder aus der Kanalisation zu entfernen.“ Dies bietet auf den ersten Blick die Möglichkeit, Rattenbeköderung im Kanal wie bisher durchzuführen. Jedoch erfordert dies das permanente Überprüfen der Wetterverhältnisse und des Wasseraufkommens in der Kanalisation, um das Entfernen der Köder gewährleisten zu können.
Was sind die Folgen?
Der aktuelle Preis für eine Kanalbeköderung wird nicht haltbar sein und wenn er doch angeboten wird, sollten die Methoden des/der Ausführenden gründlich überprüft werden. Es kommt nicht so selten vor, dass für Ausschreibungen zur Schädlingsbekämpfung Vorlagen genutzt werden, die bereits seit Jahren veraltet sind. Diese sollten bereits jetzt überarbeitet und an die neuesten Vorgaben angepasst werden.
Welche Möglichkeiten bestehen also, um auch weiterhin eine Rattenbekämpfung in der Kanalisation durchführen zu können? Zunächst einmal gibt es sogenannte Köderschutzboxen. Wie gesagt: Der Kanal gilt als geschützter Bereich und die Köder müssen nicht speziell gesichert werden vor Zugriff von Dritten. Die Köderschutzboxen verfolgen jedoch das Ziel, den Köder vor z.B. Wasser zu schützen. Zwei Modelle sind mir bekannt und bereits auf dem Markt: Die Köderschutzbox Toxprotect der Firma Ball-B verschließt sich mit steigendem Wasserpegel selbst. Der Köder im Inneren wird durch dieses Verschließen vor Wasser geschützt, die Ratte bekommt nach Abfallen des Pegels wieder Zugang zum Köder. Selbst wenn die Toxprotect komplett unter Wasser steht, wird der Köder geschützt. Die Toxprotect gibt es in zwei Varianten: Eine wird fest im Kanal verbaut, die andere mithilfe einer Befestigungsvorrichtung (TP-VarioFix) befestigt, sodass die Box schnell umgesetzt werden kann. Die zweite mir bekannte Köderschutzbox stammt von der Firma Unitechnics. Sie wird in den Kanal gehängt. Der Köder befindet sich im Inneren, bei steigendem Wasserpegel schwimmt die Box auf dem Wasser. Zusätzlich wird der Köder dadurch geschützt, dass die Luft bei steigendem Wasserpegel im Inneren der Box eingeschlossen wird und das Wasser „aussperrt“. Eine einzelne Box kostet 349 Euro, in der digitalen Variante rund 1.000 Euro. Bei Abnahme einer höheren Stückzahl wird ein Rabatt gewährt. Köderschutzboxen können laut Umweltbundesamt über die vorgeschriebenen Kontrollintervalle von zwei bis drei Wochen ohne manuelle Kontrolle betrieben werden, jedoch ebenfalls nicht zur Permanentbeköderung mit Antikoagulanzien.
Günstiger wird es auch nicht bei Variante 3: Anticimex hat eine Schlagfalle für den Kanal entwickelt. Anhand von Wärme- sowie Bewegungssensoren erkennt sie, wann eine Ratte den Abschnitt passiert. Wenn beide Sensoren auslösen, tötet sie die Ratte durch einen gezielten Schlag. Durch die Wucht des Aufpralls der Schlagbolzen werde die Ratte tierschutzgerecht in Bruchteilen einer Sekunde getötet. Diese Smart Pipe erfasst die Anzahl der getöteten Ratten, sodass auch hier eine Befallskontrolle/Dokumentation vorliegt. Die Kosten für eine Smart Pipe liegt pro Jahr bei 1.350 Euro inklusive Akku-Tausch, Wartung, Installation, Dokumentation und Statistikversand. Ähnlich funktioniert die RatTrap von Tec-Solutionz. Sie ist jedoch nicht mit einem Sensor ausgestattet, sondern tötet Ratten, die hineinklettern, durch einen gezielten Schlag. Die getöteten Tiere fallen zurück in den Kanal und sollen mit der Strömung wegtransportiert werden. Dokumentiert wird ebenfalls.
Auch die Toxprotect von Ball-B zählt, und zwar die Zugänge zur Box. Die Unitechnics-Box gibt es in zwei Varianten; mit und ohne Dokumentation. Die Zugangszahlen zu den Boxen bzw. Fallen geben einen wichtigen Anhaltspunkt darüber, wie hoch der tatsächliche Befall im jeweiligen Gebiet ist. Bislang konnte zwar Anfraß oder kein Anfraß festgestellt werden, eine annähernd genaue Schätzung der Rattenpopulation war damit jedoch nicht möglich. Die eben beschriebenen Systeme liefern diese Zahlen und können somit bei der Planung der Beköderung unterstützen. Eventuell reicht es aus, weniger Schächte zu beködern oder strategischer und somit effizienter vorzugehen.
Was können wir tun?
Vor allem durch die Köderschutzboxen besteht die Möglichkeit, Rattenbekämpfung im Kanal nahezu so aufrecht zu erhalten, wie sie bisher funktioniert hat. Jedoch würden dadurch die Kosten um ein Vielfaches steigen. Wir können nun jedoch die Kanalbeköderung neu denken: Statt, wie in der Vergangenheit vielleicht praktiziert, Köder in z.B. jeden dritten Kanal zu hängen, hilft schon ein bisschen Planung weiter. Die kommenden Monate können Sie nutzen, um zu erfassen, in welchen Schächten die Köderannahme besonders hoch ist. Für diese Schächte können Köderschutzboxen angeschafft werden. Ihr/-e Schädlingsbekämpfer/-in kennt diese Schächte. Damit reduziert sich die Anzahl der beköderten Schächte, wodurch für den einzelnen Schacht ein höheres Budget zur Verfügung steht.
Auch die Smart Pipe kann sich lohnen, denn um diese einzusetzen, ist lediglich ein Schein zum Töten von Wirbeltieren notwendig. Wenn Mitarbeiter/-innen des Baubetriebshofs diesen Schein erwerben, können Sie die Smart Pipe einsetzen und sparen dadurch externe Personalkosten. Auch die Smart Pipe sollte sinnvoll verbaut werden, möglichst an einem Schacht, der nicht von den Ratten umgangen werden kann. Denn Ratten sind intelligent und könnten die entsprechende Strecke sonst meiden. Besonders bei konstant hohem Rattenaufkommen kann sich die Smart Pipe lohnen. Giftfreie Systeme bieten darüber hinaus den Vorteil, dass sie als Aushängeschild für das Stadtmarketing genutzt werden können. Ökologie ist derzeit in aller Munde und eine Kommune, die es vermeidet, Gift in die Umwelt zu bringen und dies kommuniziert, wird sich bei den Bürgern nicht unbeliebt machen.
Stichwort Personal: Es gibt Städte, die eigene Schädlingsbekämpfer/-innen anstellen. Je nachdem, wie viele Kanalschächte Sie beködern wollen, kann sich das lohnen. Jedoch gilt dabei zu beachten, dass alle Personen, die im Rahmen beruflicher Tätigkeiten regelmäßig Nagetiere bekämpfen einen Sachkundenachweis gem. § 4 Tierschutzgesetz inkl. Risikominderungsmaßnahmen (RMM – Anwendungseinschränkungen für Antikoagulantien) besitzen müssen und ggf. einen gefahrstoffrechtlichen Sachkundenach-weis benötigen. Die berufliche Anwendung von Antikoagulantien der Gefahrenklassen akut toxisch 1 bis 4 oder Gefahrenkategorie STOT 1 oder 2 bei Anderen fällt unter Anhang I Nr. 3 der Gefahrstoffverordnung. Maßnahmen auf dem eigenen Betriebsgelände unterliegen diesen Vorgaben nicht, jedoch fallen vermutlich nicht alle Kanalschächte in den Bereich des eigenen Betriebsgeländes.
Doch wie so häufig werden bei einer Rattenbekämpfung die Symptome und nicht die Ursachen bekämpft. Die Ursachen für ein erhöhtes Rattenaufkommen sind bekannt! Gebetsmühlenartig wiederholen Fachleute, dass Lebensmittel nicht in der Toilette her-untergespült werden sollen. Dies wird durch steigende Abgaben für die Abfallentsorgung aber immer attraktiver. Die Abschaffung von Kosten für die Biotonne – ähnlich wie bei Altpapier – ist eine Möglichkeit, die Motivation der Bevölkerung zu steigern, die Biotonne für Lebensmittelabfälle zu nutzen. Abfall ist nicht sexy, dennoch findet gerade jetzt eine Sensibilisierung für Plastikabfälle statt. Warum nicht auf den Zug aufspringen und auch die Entsorgung von Lebensmitteln thematisieren? Darüber hinaus möchte niemand eine Ratte in der Toilette haben – dies könnte jedoch die Folge sein, wenn Lebensmittel heruntergespült werden. Die richtige Entsorgung von Lebensmitteln gehört auf die Agenda der Öffentlichkeitsarbeit. Dies ist die effektivste Methode zur Reduzierung des Rattenaufkommens. Überlaufende Abfallkörbe und –tonnen sind ein weiteres Problem, das im Zuge einer solchen Kampagne angesprochen werden kann. Hier entstehen Synergieeffekte auf die Entsorgung. Vorsorge ist hier besser als Nachsorge und so helfen auch Kontrollen des Kanalsystems mit speziellen Kamerafahrzeugen, um Bauschäden früh beheben zu können.
Im Zusammenspiel sorgen diese Maßnahmen dafür, dass die Kosten für die Rattenbekämpfung zwar zunächst ansteigen, dann aber langfristig wieder abnehmen. Mit Vorarbeit, guter Planung und dem gezielten Einsetzen von Köderschutzboxen und Kanal-schlagfallen – ebenfalls langfristige Investitionen – können sich Aufwand und Kosten mittel- und langfristig reduzieren. Gute Beispiele dafür gibt es bereits.
Pia-Kim Schaper
Redaktion KommunalTechnik
Aktualisiert im Februar 2019.
Weitere Infos:
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/antworten-auf-haeufig-gestellte-fragen-zu
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/gute-fachliche-anwendung-von
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