Vergaberecht: Markterkundung
Nur eine fundierte Leistungsbeschreibung bietet eine realistische Kalkulationsgrundlage für die Bieter. Öffentliche Auftraggeber müssen sich daher im Vorfeld einer Beschaffung eine Übersicht über Erzeugnisse, Bezugsquellen, (Markt-) Preise, Standards und Alternativen der auszuschreibenden Leistung verschaffen, also Markterkundung bzw. Marktabfrage betreiben, soweit ihnen die notwendigen Marktkenntnisse fehlt.
Der öffentlichen Auftraggeber kann sich vor dem Start eines Vergabeverfahrens im Zuge einer Markterkundung von den Marktteilnehmern sämtliche Informationen beschaffen, die zur Erstellung einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 31 VgV, § 23 UVgO) und einer realistischen Kalkulationsgrundlage notwendig sind.
Marktkenntnisse bzw. Markterkundung sind auch notwendig, um bei beschränkten Ausschreibungen, Verhandlungsvergaben oder Verhandlungsverfahren - jeweils ohne Teilnahmewettbewerb potentielle Bewerber zu ermitteln. Aber auch bei öffentlichen Ausschreibungen ist es sinnvoll, den Kreis der interessierten Unternehmen zu kennen bzw. zu erkunden.
Ohne Marktkenntnisse bzw. ohne Markterkundung ist weder eine Wirtschaftlichkeitsberechnung möglich noch die Erstellung einer ordentlichen Leistungsbeschreibung im Rahmen der „Leistungsbestimmungspflicht“ durch den öffentlichen Auftraggeber gewährleistet bzw. die Schätzung des Auftrags-/ Schwellenwertes fundiert. Ein Vergabeverfahren darf deshalb ohne notwendige Marktkenntnisse und Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht eingeleitet werden. In diesem Fall würde die „Beschaffungs- oder Ausschreibungsreife“ fehlen.[1]
Was ist zu beachten?
Eine Markterkundung ist den öffentlichen Auftraggebern nur bei einer ernsthaften Beschaffungsabsicht, also nur vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens erlaubt (§ 28 VgV, § 20 UVgO).
Ein Vergabeverfahren zur reinen Markterkundung oder zum Zwecke der Kosten- oder Preisermittlung, also ohne ernste Vergabeabsicht, d. h. zu vergabefremden Zwecken, ist vergaberechtswidrig [2] und kann wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung (§§ 280 ff i. V. mit § 311 II, § 241 II BGB) den Auftraggeber schadenspflichtig machen. Ebenso ist die Einbindung von Markterkundungselementen in die Leistungsbeschreibung oder zwei Vergabeverfahren über ein und dieselbe Leistung (so genannte „Doppelausschreibungen“) unzulässig.[3],[4]
Die Markterkundung darf ausschließlich zur Vorbereitung eines Vergabeverfahrens oder zur Unterrichtung der Unternehmen über bestehende Auftragsvergabepläne und -anforderungen des öffentlichen Auftraggebers dienen. Der öffentliche Auftraggeber sollte daher bei der Markterkundung klarstellen, dass seiner Anfrage keine unmittelbare Beschaffungsabsicht zugrunde liegt, also unverbindlich ist und ausschließlich der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens dient.
Markterkundungen bzw. Marktabfragen müssen allgemein gehalten werden und dürfen nicht zu Wettbewerbsvorteilen oder Vorkenntnissen für einen anschließenden Wettbewerb führen (Problem „vorbefasster Bieter“, § 7 VgV).
Fehler vermeiden
Fehlende oder unzureichende Marktkenntnis führt zu erheblichen Mängeln im Beschaffungswesen. Bei nichtöffentlichen Verfahren steht vielfach nur ein eingeschränkter Bewerberkreis zur Verfügung, bei allen Verfahren häufen sich Nachträge und unzutreffende Auftragswertschätzungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen fehlen bzw. sind nicht fundiert.
Für die öffentliche Hand sollte es selbstverständlich sein, Vergabeverfahren nur bei ausreichender Marktkenntnis bzw. nach einer Markterkundung (Marktabfrage) einzuleiten.
Dokumentation
Die Markterkundung bzw. die vorhandenen Marktkenntnisse und das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung sind ebenso wie die Kontakte zu Unternehmen im Rahmen der Markterkundung in einem Vermerk festzuhalten.
Dipl.-Verwaltungswirt (FH) Hans Schaller
[1] VK Bund, Beschluss vom 10. 6. 2016, VK 1- 40/15.
[2] OLG Dresden, Beschuss vom 23.4.2009 – Verg 0011/08.
[3]OLG München, Beschluss vom 22.10.2015, Verg 5/15. VK Bund, Beschluss vom 22.12.2009 – Vk 2 – 204/09,
[4] OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.07.2008 – 1 Verg 6/08.