Vergaberecht: Ausgeschriebene Vergabe stoppen

Vier Gründe, wann der Zuschlag bei einer ausgeschriebenen Vergabe innerhalb der Bindefrist gestoppt werden kann.
Vergaberecht
Nur unter bestimmten Bedingungen kann ein laufendes Vergabeverfahren innerhalb der Bindefrist gestoppt werden.

Im Verlauf einer Beschaffung kann es vorkommen, dass die Kommune innerhalb der Bindefrist, also vor Zuschlagserteilung, das Verfahren aufheben möchte. Eine solche Beendigung des Verfahrens ist eine absolute Ausnahme und nur zulässig, wenn die nachstehend genannten Aufhebungsgründe nach Einleitung des Vergabeverfahrens aufgetreten und nicht vom Auftraggeber verursacht sind.

1. Kein Angebot entspricht den Bedingungen  

Das Vergabeverfahren wird aufgehoben, wenn kein Angebot den Bedingungen entspricht. Liegt auch nur ein ordnungsgemäßes Angebot vor, muss dieses den Zuschlag erhalten, falls keine weiteren Aufhebungsgründe vorliegen.

2. Wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens  

Dieser Aufhebungsgrund kann vorliegen, wenn 

  • zwischenzeitlich neue Technologien bekannt geworden sind, 

  • die Finanzierungsgrundlagen ganz oder teilweise weggefallen sind (z. B. durch Kürzung einer zugesagten Zuwendung), so dass die Vergabeabsicht nicht mehr verwirklicht werden kann (wenn die Finanzierung zu keiner Zeit gesichert war, durfte das Vergabeverfahren überhaupt nicht eingeleitet werden),  

  • eine wesentliche Änderung oder der Wegfall der Zweckbestimmung für die Beschaffung eingetreten ist. 

Wenn die Kommune Unklarheiten im Vergabeverfahren selber verursacht hat (z. B. durch unklare Formulierungen), liegen keine nachträglichen wesentlichen Änderungen der Angebotsgrundlagen vor.

3. Kein wirtschaftliches Ergebnis 

Die Aufhebung ist wegen erheblicher Unwirtschaftlichkeit unerlässlich, wenn keines der Angebote eine wirtschaftliche und sparsame Verwendung der Mittel gewährleistet. Dies gilt auch dann, wenn selbst das Mindestangebot zu hoch ist. Ob das Vergabeverfahren kein wirtschaftliches Ergebnis gebracht hat, beurteilt sich anhand des Marktpreises und nach den vom Auftraggeber im Voraus ordnungsgemäß und fehlerfrei ermittelten und dokumentierten Sollkosten (Kostenschätzung) oder nach einer im Vorfeld bestimmten Kostenobergrenze. 

Liegt zumindest ein Angebot unterhalb der Kostenschätzung des Auftraggebers, liegt kein unwirtschaftliches Ergebnis vor.

Eine Aufhebung kommt bei Überschreitung der Kostenschätzung allerdings nur dann in Betracht, wenn der niedrigste Preis tatsächlich überhöht oder das Vorhaben trotz eines angemessenen Preises nicht finanzierbar ist. Bei einer größeren Abweichung des niedrigsten Angebotes von der Kostenschätzung der Vergabestelle sollte auch die Kostenschätzung geprüft werden. 

4. Andere schwerwiegende Gründe 

Andere, vom Auftraggeber zu beweisende schwerwiegenden Gründe können wesentliche Veränderungen in den allgemeinen Markt-, Währungs- und Preisverhältnissen sein, die erst im Nachhinein bei einer rückschauenden Betrachtung erkennbar waren. Auch können zu Beginn des Vergabeverfahrens nicht voraussehbare Änderungen beim Auftraggeber in den Grundlagen der Finanzierung (wie z. B. Haushaltssperre), die die Finanzierung des Vorhabens in einem wesentlichen Umfang berühren, die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtfertigen.

Allerdings ist zu beachten, dass keine Gründe vorliegen dürfen, die auf Fehler oder Fehleinschätzungen der Vergabestelle zurückzuführen sind. So sind z. B. fehlende Haushaltsmittel allein noch kein sanktionsfreier Aufhebungsgrund. Wird ein Vergabeverfahren trotz fehlender Haushaltsmittel durchgeführt, so war die Finanzierung zu keiner Zeit gesichert.

Auch ein nachträgliches, günstigeres Angebot ist für sich allein kein Aufhebungsgrund. 

Schadensersatz  

Liegt keiner der genannten Gründe für eine Aufhebung des Verfahrens vor, kann ein Unternehmer, der den Zuschlag erhalten hätte, Anspruch auf Ersatz der mit der Teilnahme am Verfahren verbundenen (vergeblichen) Aufwendungen geltend machen. Dabei handelt es sich in erster Line um den Aufwand des Unternehmers für die Bearbeitung des Angebots.

Ein weiterer möglicher Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns setzt nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen voraus, dass der ausgeschriebene Auftrag tatsächlich erteilt und der Wettbewerbsgewinner zu Unrecht übergangen wurde.

Dokumentation - Benachrichtigung der Bieter  

Um eine spätere Nachprüfung der Aufhebung zu ermöglichen, aber auch um einer übereilten oder unbedachten Aufhebung vorzubeugen, sind die für die Aufhebung eines Vergabeverfahrens maßgebenden Gründe zu dokumentieren (Vordruck: z.B. 351 VHB Bund).

Bieter sind von der Aufhebung des Vergabeverfahrens unter Bekanntgabe der maßgebenden Gründe zu benachrichtigen (Vordruck: z. B. 352 Vergabehandbuch Bund). 

Damit ist das Vergabeverfahren regelmäßig abgeschlossen.

Kein Zwang zur Aufhebung 

Ein Vergabeverfahren kann, aber muss nicht aufgehoben werden. Der Auftraggeber sollte vor einer Entscheidung zur Aufhebung eines Vergabeverfahrens die Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen. Ausgenommen von dieser Ermessenentscheidung sind lediglich Vergabeverfahren mit so schwerwiegenden, unheilbaren Mängeln, die keine ordnungsgemäße Zuschlagsentscheidung oder keine Finanzierung der Maßnahme ermöglichen.

Überprüfung nach einem Landesvergabegesetz 

Die Frage der berechtigten Aufhebung eines Vergabeverfahrens kann auf Antrag eines übergangenen Bieters 

  • nach den besonderen Vorgaben eines Landesvergabegesetzes,
  • bei europaweiten Verfahren im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer bzw. vor einem Oberlandesgericht (Primärrechtsschutz) 

überprüft werden.

Rechts- und Verwaltungsvorschriften 

§ 63 Vergabeverordnung (EU-weite Vergaben), § 48 Unterschwellenvergabeordnung (nationale Vergaben

Hans Schaller, Dipl.-Verwaltungswirt (FH)