Unklare Grenzverläufe bei Bäumen - was tun?
Eigentum verpflichtet.[1] Diese verfassungsmäßig verankerte Verantwortlichkeit bedeutet für den Grundeigentümer insbesondere, Dritte in zumutbarer Weise vor Gefahren zu schützen, die sich aus dem Zustand seiner Liegenschaft ergeben. In Bezug auf Bäume als wesentliche Bestandteile des Grundstücks[2] kann dies nur gelingen, wenn er dessen Grenzen kennt und weiß, um welche Bäume er sich zu kümmern hat. Besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art bereiten dabei regelmäßig Grenzbäume im Sinne des § 923 BGB, für die standortbedingt stets beide Grundstücksnachbarn anteilig kontroll- und unterhaltungspflichtig sind[3].
Die Problemlage
Der Eigentümer ist für den verkehrssicheren Zustand seines Grundstücks haftungsrechtlich verantwortlich, es sei denn, er hätte die diesbezügliche Pflicht vertraglich jemand anderem übertragen. Er hat auch dafür zu sorgen, dass seine Bäume nicht über das allgemeine Lebensrisiko hinaus gefährlich sind. Der Baumbestand ist so anzulegen und zu unterhalten, dass er nach forstwissenschaftlichen Erkenntnissen möglichst gegen Windbruch und Windwurf, insbesondere gegen Umstürzen wegen fehlender Standfestigkeit gesichert ist.[4]
Oft lassen sich erkennbar pflegebedürftige Bäume nicht zweifelsfrei dem kommunalen Grundstück und damit dem eigenen Zuständigkeitsbereich zuordnen, weil entweder Grenzzeichen gänzlich fehlen oder Anhaltspunkte dafürsprechen, dass jene im Laufe der Zeit verrückt worden sind und nicht mehr den tatsächlichen Grenzverlauf wiedergeben. Dann aber wäre ein Untätigbleiben zumindest mit abstrakten Haftungsrisiken verbunden, bei schweren Personenschäden möglicherweise auch mit strafrechtlichen Folgen. Denn Unkenntnis oder Irrtum über die Eigentumsverhältnisse entlasten die Kommune haftungsrechtlich nicht ohne weiteres. Den Bestand seiner Liegenschaften hat man grundsätzlich zu kennen, evidente Zweifel über deren Grenzen jedenfalls bei erkennbar dringendem Pflegebedarf betroffener Bäume zu beseitigen. Das Argument, aufgrund geringer Sicherheitserwartung des Verkehrs könnten zumindest solche Bäume baumpflegerisch ganz außer Betracht bleiben, die entlang unbedeutender Nebenwege stünden, verfängt jedenfalls dort nicht, wo überhaupt ein Verkehr stattfindet. Dazu genügte es schon, wenn dort gewöhnlich nur vereinzelte Spaziergänger oder Radfahrer unterwegs wären, und zwar unabhängig von einer verkehrsrechtlichen Widmung oder Ausweisung als Teilstrecke eines Radwegenetzes. Die aus der untergeordneten Verkehrsbedeutung des Weges folgende geringere Sicherheitserwartung bestimmt aber das Regelkontrollintervall mit, welches dann durchaus großzügig ausfallen darf.[5]
Lösungsansätze
Lässt sich ein Baum auch mittels Liegenschaftskatasters nicht eindeutig einem Grundstück zuordnen, sollte man mit dem Eigentümer des Nachbargrundstücks eine möglichst unbürokratische Lösung suchen, indem man sich schriftlich auf einen Grenzverlauf, zumindest aber über die sicherungs-rechtliche Zuständigkeit für den Baum einigt. Anderenfalls wäre eine Grenzvermessung zu veranlassen, die dann stets auch eine Abmarkung, also das Errichten oder Wiederherstellen fester Grenzzeichen beinhaltet. Deren Ablauf richtet sich gemäß § 919 Abs. 2 BGB nach den Abmarkungs-, Vermessungs- und Katastergesetzen der einzelnen Bundesländer, aus denen sich Mitwirkungspflichten ergeben. Die Kosten der Abmarkung sind gemäß § 919 Abs. 3 BGB grundsätzlich von den beteiligten Grenznachbarn hälftig zu tragen, wobei abweichende Vereinbarungen zulässig sind.
Angesichts knapper Finanzmittel in der kommunalen Grünpflege dürfte sich die Beschaffung zusätzlicher Gelder dafür selbst in dringenden Fällen schwierig gestalten. Aus dieser Gemengelage ergeben sich aber für den einzelnen Bediensteten der betroffenen Fachbereiche keine allzu großen Risiken, persönlich in Anspruch genommen zu werden. Dies liegt an der Konstruktion der einschlägigen Haftungstatbestände, die bei hoheitlich ausgestalteten Verkehrssicherungspflichten[6] eine unmittelbare Haftungsüberleitung auf den Arbeitgeber oder Dienstherrn und einen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch im Übrigen[7] vorsehen. Der Bedienstete hätte also für einen Drittschaden aus fahrlässiger Verletzung einer kommunalen Verkehrssicherungspflicht haftungsrechtlich nicht persönlich einzustehen. Selbst bei grober Fahrlässigkeit, einem durch besonders schwere Nachlässigkeit geprägten Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt, der in den Fällen unklarer Grenzverläufe ohnehin kaum denkbar ist, hätte er praktisch keinen Rückgriff des kommunalen Arbeitgebers oder Dienstherrn zu befürchten, zumal dieser im Rahmen seiner arbeits- oder beamtenrechtlichen Fürsorgepflichten einen möglichst umfassenden Haftpflichtdeckungsschutz zugunsten seiner Beschäftigten vorzuhalten hat und dieser Verschuldensgrad ohne weiteres unter den Deckungsschutz der Kommunalversicherer fällt.[8]
Um zugleich auch das strafrechtliche Risiko[9] möglichst zu minimieren, ist es ratsam, zumindest in Fällen erkennbar dringenden Handlungsbedarfs an Bäumen im unklaren Grenzbereich den unmittelbaren Vorgesetzten oder die Dienststellenleitung im Sinne einer Gefahrenanzeige schriftlich auf die unsichere Eigentumslage hinzuweisen.
Damit wäre im Falle eines Personenschadens dem im Strafrecht erforderlichen persönlichen Schuldvorwurf weitgehend der Boden entzogen. Eine abschlägige Entscheidung über die Mittelbewilligung und deren Folgen können ihm daher weder haftungs- noch strafrechtlich zum Nachteil gereichen.
Werner Liebeton, KSA – Kommunaler Schadenausgleich westdeutscher Städte und HADG – Haftpflichtschadenausgleich der Deutschen Großstädte
[1] Artikel 14 Abs. 2 Satz 1 GG
[2] § 94 BGB
[3] Ausführlich Liebeton, Jahrbuch der Baumpflege 2018, S. 177 f.
[4] BGH, Urt. v. 21. 3. 2003 (V ZR 319/02), NJW 2003, S. 1732 (1733)
[5] FLL-Baumkontrollrichtlinien, 3. Ausgabe, 2020, Ziff. 5.2.1.1 und 5.2.3, Tab. 1
[6] Begleitgrün an öffentlichen Straßen (Ausnahme: Hessen)
[7] Bäume auf allen übrigen Kommunalgrundstücken (z.B. Begleitgrün nicht gewidmeter Straßen, Spielplätze, Parks, Fiskalgrundstücke)
[8] Ausführlich Liebeton im Sonderheft „Haftungsrechtliche Organisation im Interesse der Schadenverhütung“ 2018, Seite 21
[9] Ausführlich Liebeton, Jahrbuch der Baumpflege 2018, S. 182 ff.